Montag, 24. April 2017

"Du musst der ranghöchste Hund im Rudel sein!"

 

... aber ich bin kein Hund. 



Ich habe lange überlegt, welches Thema sich nun für den ersten "richtigen" Eintrag hier eignet. Ich habe viele Themen angeschnitten, wieder verworfen, teilweise ganze Romane geschrieben um dann im Endeffekt doch nicht auf "veröffentlichen" zu drücken.
 
Nun sitze ich hier und wieder einmal beschäftigt mich ein bestimmter Bereich eines der Themen, die in meinem Leben eine entscheidende Rolle spielen: Die Hundehaltung. Oder, wie ich es lieber nenne: Das gemeinsame Leben mit Hunden.

Vorweg: Das hier wird kein wissenschaftlich fundierter Beitrag. Ich bin kein Hundetrainer, Tierpsychologe oder Tierverhaltenstherapeut. Ich schreibe hier lediglich meine Erfahrungen und Gedankengänge nieder. Wenn sie euch zum Nachdenken anregen und ihr eventuell das eine oder andere für euch und eure Hunde mitnehmen könnt, freut mich das natürlich. Aber ich will hier weder jeden von meiner Sichtweise überzeugen, noch irgendjemandem seine Überzeugung absprechen.

Das viele - ich behaupte: unzählige - Wege zum sprichwörtlichen Rom führen, wissen wir ja alle.
Trotzdem nehme ich mir nun endlich, nachdem mich dieses Thema schon so viele Jahre beschäftigt, die Zeit, um meine Gedanken zu einem konkreten Satz (oder besser, der damit verbundenen Einstellung) nieder zu schreiben: "Du musst der ranghöchste Hund im Rudel sein!" was auch gerne wie folgt formuliert wird:

"Du musst ihm zeigen, wer der Chef (wahlweise: Alpha, Boss, Rudelführer, beliebig zu ergänzen) ist!"





Um direkt und ohne Umschweife mit der Tür uns Haus zu fallen: Nein, das muss ich nicht.
Theoretisch könnte ich den Beitrag hier jetzt beenden. Das wäre aber nicht nur langweilig, sondern auch ziemlich enttäuschend für jeden, der sich die Mühe gemacht hat, mein ellenlanges Vorwort zu lesen.
Also will ich meine Überzeugung, dass ich kein ranghöherer Hund für meine Hunde bin, etwas ausformulieren und euch meine Sicht der Dinge - zumindest ein bisschen - eröffnen.

Erstmal: Ich bin kein Hund. Weder lecke ich meinen Hunden die Ohren aus, noch beiße ich ihnen in den Nacken, die Pfoten, die Rute, wenn ich mit ihnen spielen will. Ich rieche auch nicht an ihren Pipifützen, checke bei fremden Hunden, die wir auf unseren Spaziergängen treffen nicht, wer von uns die dickeren Eier hat und ob die schicke Beagle-Lady von nebenan eventuell gerade für ein Techtelmechtel bereit wäre.

Auf der anderen Seite möchte ich vage behaupten, dass in einer wilden Hundegruppe weder Leinenführigkeit, noch Sitz, Platz, Brings, Rolle, Twist, Pfötchen oder "Wo ist die Mama?" vom "Rudelführer" in täglichen Einheiten sauber aufkonditioniert und dann unter der verlockenden Ablenkung eines rennenden Kaninchens oder startenden Vogels abgerufen, und bei Versagen ggf. mit Brüllorgien oder dem berühmt-berüchtigten "Alpha-Wurf" getadelt werden. Und Kekse gibt es auch keine, wenn Hund-XY ein "feines Sitzi" macht.

Und ich lehne mich jetzt noch mal ganz weit aus dem Fenster und behaupte: Das ich kein Hund bin, ist auch meinen Hunden während unseres Zusammenlebens bereits langsam gedämmert.
Möglicherweise hat der Rüde sich schon das eine oder andere mal gefragt, warum ich die kesse Colliedame vom Ende der Straße nicht schnüffle, während wir grade im Garten toben. Und meine Hündin mag es vielleicht auch noch immer komisch finden, das ich meine Hinterlassenschaften mit Wasser wegspühle und vernichte, anstatt ihre herrlich penetrante Duftnote im ganzen Badezimmer (oder noch besser: Im ganzen Haus!) zu verteilen, damit jeder weiß, das ich der King im Ring bin. Aber davon abgesehen: Doch, ich denke, meine Hunde haben mitbekommen, dass ich kein hässlicher, halbnackter, auf zwei komisch unförmigen Hinterläufen gehender Hund bin, der zu doof zum Bellen ist.

Von der Annahme ausgehend, das meine Hunde wissen: "Die Alte ist kein Hund.", ist es eigentlich auch gar nicht mehr weit zu der Frage, die ich mir jedes Mal stelle, wenn mir jemand sagt, ich müsse meinen Hunden (oder er müsse seinen Hunden) in irgendeiner Form klar machen, dass ich der Alpha-Hund bin:


"Für wie blöd hältst du das Tier eigentlich?" 


Meine Hunde sind meine Partner. Sie leben mir mit, einem Menschen, in einem sozialen Verband, einer sozialen Gruppe, wenn man so will. Meinetwegen auch "Rudel", wobei ich diesen Begriff einfach sehr irreführend finde, denn ein Rudel ist (im ursprünglichen Sinne) ein Familienverband und ich habe meine Hunde definitiv nicht selbst geboren. Aber gut, das mag Wortklauberei sein. Ich verwende das Wort "Rudel" nur nicht gerne, weil es eben ganz schnell wieder zu der "Rudelführer"-Theorie führt.

Ich habe mir meine Hunde ausgesucht. Ob ich das nun im Tierheim, Tierschutz oder bei einem Züchter getan habe, spielt keine Rolle. Ich habe die Entscheidung getroffen: "Du lebst jetzt bei mir." Der Hund hatte faktisch keine Möglichkeit, die Entscheidung, wo und mit wem er von diesem Zeitpunkt an sein Leben verbringt, selbst zu treffen.
Idealerweise habe ich mir einen Hund ausgesucht, der zu mir und meinen Lebensumständen passt. Da gibt es viele Aspekte, die man, wenn man verantwortungsvoll ist, vorher bedenken sollte. Ich will an dieser Stelle jetzt nicht weiter darauf eingehen, denn das ist für das eigentliche Thema dieses Eintrags unerheblich.

Ich alleine trage die Verantwortung dafür, dass es diesem Hund, diesem Lebewesen, ab dem Zeitpunkt, an dem ich ihn in mein Leben hole, gut geht.
Was ein Hund braucht und was nicht, ist in vielen Bereichen ein heiß diskutiertes Thema. Meine Ansicht dazu gibt es sicherlich bei Zeiten in einem anderen Blog-Eintrag. Aber eine Sache ist mir ganz wichtig: Ein Hund braucht Schutz, Sicherheit und Geborgenheit durch und von seinen Menschen.
Hunde sind hochsoziale Tiere, die, wenn sie können, in sozialen Verbänden leben. Wenn wir einen Hund (oder mehrere Hunde) in unser Leben holen, dann sind wir seine soziale Gruppe. Das macht uns nicht zu Hunden, aber wir können unheimlich viel von Hundeverhalten untereinander lernen und natürlich können wir uns auch einiges davon zu nutze machen. Dagegen spricht überhaupt nichts. Aber bitte, wenn ihr das tut, dann betrachtet die Kommunikation von Hunden untereinander als Ganzes.

Natürlich gibt es in einer sozialen Gruppe bei Hunden, einen Hund, der die Gruppe führt (und ich sage bewusst nicht: „anführt“). Das ist, sehr einfach ausgedrückt, der Hund, der die anderen schützt, behütet und dafür sorgt, das alle sicher sind und es allen gut geht.
Dieser Hund ist niemals unangemessen laut, denn unter Hunden ist der Lauteste grundsätzlich der, der am wenigsten zu sagen hat. Brüllen mag ja beeindruckend sein, ist aber weit entfernt von einer souveränen Handlung. Aus menschlicher Sicht betrachtet: Derjenige, dem die guten Argumente ausgehen, fängt an zu brüllen.
Und das ist es, woran Hunde sind - ganz natürlich - orientieren. Souveränität. Echtheit. Ruhiges, bestimmtes Auftreten. An demjenigen, der die Lage im Blick hat, auf den sie sich verlassen können, der ihnen Schutz und Sicherheit gibt. Und das gilt nicht nur für Hunde untereinander, sondern, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann, auch für Hund-Mensch-Beziehungen.

Der "Rudelführer" zu sein, heißt nicht, tausend Privilegien zu haben, immer der Erste am Futtertrog zu sein, sich für den größten Macho unter der Sonne zu halten und jeden zusammen zu schreien oder zu vermöbeln, der sich falsch bewegt. Nein. Es heißt, für alle zu sorgen, Schutz zu versprechen und im Gegenzug Vertrauen zu ernten.
Es ist der härteste, kniffligste und vielschichtigste Job von allen. Man liegt nicht einfach nur da und ruft: "Man reiche mir die Trauben!". Man springt für diejenigen, deren Vertrauen man inne hat, in die Bresche und klärt Situationen, trifft Entscheidungen, löst Konflikte. Man ist kein König auf einem weichen Thron mit Untergebenem, die einem das frisch gejagte Kaninchen vor die Füße legen. Nein, man muss dafür Sorge tragen, das auch wirklich alle vom Kaninchen was abbekommen und nicht ein Jungspund plötzlich mit der Beute abhaut, weil er sie für sich alleine haben will.




Das ist es, was ein "Rudelführer" tut. 


Und nicht alles für sich beanspruchen, damit die "Rangniedrigen" auch bloß nicht auf die Idee kommen, das sie eventuell aufmucken könnten. Denn genau so wird dieses Prinzip von unzähligen Menschen auch heute noch interpretiert.
"Du musst ihm zeigen, wer der Chef ist!"
Gerne auch mal mit Nackenschlag und dem allseits beliebten "auf den Rücken drehen", weil das ja eine Demutsgeste nachahmen soll (wobei ich aus Erfahrung sagen kann, dass die meisten Menschen nicht einmal eine Ahnung haben, warum sie ihren Hund überhaupt auf den Rücken werfen "müssen". Das "macht man schließlich so".)

Nein, ihr Lieben. Wenn ich meinen Hund an der Kehle auf den Boden drücke, dann kommuniziere ich ihm damit nicht, dass ich "der Alpha" bin, sondern dass ich einen an der Pfanne habe und er gerade, weil er wegen eines duftenden Grasbüschels an der Leine gezuppelt hat, um sein Leben fürchten muss. Denn ich stehe über ihm, meine Hand an seiner Kehle, der verletzlichsten Stelle seines Körpers, und brülle ihn vielleicht sogar noch an, weil er es gewagt hat, meine Chef-Position in Frage zu stellen.
Ich bin für ihn unberechenbar, unfair, unsouverän und gefährlich, weil ich ihm wegen einer Duftnote mit dem Tod drohe. Das, und nichts Anderes, kommuniziere ich meinem Hund, wenn ich solche "Erziehungsmethoden" anwende.

Um diesen - viel zu lang gewordenen - ersten Blog-Eintrag mit einem weniger derben Beispiel zu seinem wohl verdienten Ende zu führen: Das Einzige, was meine Hunde denken, wenn ich so tue, als würde ich aus ihrem Napf essen (natürlich bevor sie ihn bekommen!) oder mein Bein heben, um über ihre Pipi zu markieren (denn ich bin ja hier der King im Ring und nicht sie!) ist mit hoher Wahrscheinlichkeit: "...hä?"


Wir können wahnsinnig viel von unseren Hunden lernen, wenn wir einfach mal zuhören und genau hinsehen. 





In diesem Sinne: Gute Nacht!