Donnerstag, 4. Mai 2017

Verlustangst - oder: Mauern einreißen

In meinem ersten Blog-Eintrag ging es um etwas, was mein Leben seit Jahren in hohem Maße bereichert. In diesem Eintrag wird es um etwas gehen, was mich seit vielen Jahren, jeden Tag begleitet.

Auch hier wieder eine Kleinigkeit vorweg: Dieser Beitrag richtet sich an keine bestimmte Personengruppe. Er gibt meine Gedanken zu einem Thema wieder, das vielleicht einige von euch nachvollziehen können, weil es ihnen selbst so geht: Verlustangst.
Ob ihr ihn lesen möchtet, er euch interessiert auch nicht, liegt ganz allein bei euch.


"Bist du noch da, wenn ich morgen wach werde?"


Jeder Mensch auf der Welt hat Ängste. Das ist völlig normal. Ängste sind dazu da, uns von potentiellen Gefahren fern zu halten, uns zu beschützen, uns Fehler nicht noch einmal machen zu lassen. Genau wie ihre physischen, großen Brüder: Schmerzen.

Eine Angst – die, über die ich hier und heute schreibe – die mich mein Leben lang verfolgt, vielleicht sogar meine größte Angst ist die, diejenigen die ich Liebe, zu verlieren. Und damit meine ich nicht einmal den Tod als endgültiger, physischer Verlust einer Person, sondern auch der Abbruch des Kontaktes, ein heftiger Streit, die Person verschwindet – auf welche Art auch immer – letztlich aus meinem Leben.

Mir fällt es schwer, Menschen völlig zu vertrauen. Das mag an den Erfahrungen liegen, die ich in meinem Leben schon machen musste. Sind Ängste im Endeffekt doch fast immer die Ergebnisse der negativen Erfahrungen, die wir machen, während wir aufwachsen oder älter werden.
Ich musste viele solcher Erfahrungen machen. Ob das nun in der Schule war, wo ich immer zu den Außenseitern gehörte, innerhalb meiner Familie, durch die ich schon sehr früh erfahren musste, das der Tod ein Teil des Leben ist, oder auch hier, im Internet, wo es Menschen für amüsant hielten, mich Jahre lang grundlos zu verfolgen, zu beleidigen und psychisch fertig zu machen.
Das ich nicht jedem blind mein Vertrauen schenke, hat also seine Gründe. Auch ich habe zu viele schlechte Erfahrungen damit gemacht.
Aber wenn ich einer Person vertraue, sie in mein Herz geschlossen habe, sie liebe, dann tu ich alles für sie.

Nun treffe ich immer öfter auf andere Menschen. Menschen, die mir unglücklich erscheinen oder bei denen ich auf eine ganz eigenartige Weise sehr schnell merke, dass sie eine meterdicke Mauer um sich herum gebaut haben. Oftmals ist ein offenes Gespräch nicht möglich. Smalltalk, auch noch dem fünften, sechsten oder siebten Telefonat. Und das, obwohl wir auf einer Wellenlänge liegen und uns offenbar gut verstehen.

Diese Art von Schutzmauer, bauen wir auf, wenn wir verletzt werden. Wir meinen damit mehr Schaden von uns abwenden zu können. Wenn wir niemanden so nah an uns heran lassen, dass er uns verletzen kann, sind wir schließlich sicher. Keiner kann uns mehr weh tun, die Schmerzen, die wir spüren, wenn ein geliebter Mensch aus unserem Leben verschwindet, wird es nicht mehr geben, denn es gibt ja keine geliebten Menschen mehr, denn wir lassen niemandem zu einem geliebten Menschen werden.

Es gibt nichts, was mich trauriger macht, als diese simple Tatsache. Dabei laufen wir vielleicht sogar alle mit einer Mauer um uns herum durch die Gegend. Je älter wir werden, desto öfter sind wir verletzt, enttäuscht oder zurückgelassen worden. Und es ist ganz natürlich sich vor diesem Schmerz bewahren zu wollen, aber wenn ich dann sehe, was Einige daraus machen, zu was sie werden, wie aus dünnem Seidenpapier Pappe wird, aus Pappe Holz, aus Holz Fachwerk, und aus Fachwerk schließlich siebzig Zentimeter dicker Stahlbeton, zerreißt es mich fast.

Ich habe in meinem Leben schon so Viele verloren, die einen festen Platz in meinem Herzen hatten. Viele durch Krankheit, viele durch Streit, einige durch einen Umzug, durch die Zeit, die man nicht mehr gemeinsam hat verbringen können. Jeder von ihnen hat ein Stück meines Herzens mitgenommen. Sie sind nicht ersetzbar und niemals vergessen.


Doch ich bin noch hier.


Und ich bin nicht alleine. Ich will nicht alleine sein.
Wenn ich niemanden in mein Herz lasse, niemandem eine Chance gebe, mir wichtig zu werden, niemandem mein Vertrauen, meine Liebe schenke, dann kann ich vielleicht nicht verletzt werden, ja.
Aber es sind nicht nur die Schmerzen, die mir dann vielleicht erspart bleiben. Nein. Mir geht so vieles verloren, was ich nicht bereit bin, zu verlieren.
Gemeinsame Erfolge, Zusammenhalt, Glücksmomente, echte Freundschaft, Liebe.
Wie könnte ich jemanden lieben, wenn ich ihm nicht alles von mir geben kann? Wie kann ich von Freundschaft sprechen, wenn ich nicht vertrauen kann, in ständiger Angst, derjenige könnte mich vielleicht verletzen, mich zurück lassen?

Ich bin nicht bereit diesen Preis zu zahlen, nur, damit mir vermeintlich Niemand mehr weh tun kann. Niemanden mehr so nah an mich heran zu lassen, dass er mich und ich ihn glücklich machen kann, nur, weil die Chance besteht, dass er mich vielleicht verletzen könnte, ist für mich keine Option.
Was ich alles verpassen würde, ohne diese ganzen, wahnsinnigen Gefühle, die starken Bande, die ich mit meinen Liebsten knüpfe, die gemeinsamen Erlebnisse, die ich an mein Herz heran lasse, um sie vollends genießen zu können... Nein. Nein, all das aufzugeben, nur damit es nicht so weh tut, wenn ich mich mit einer dieser besonderen Personen streite oder wir nach vielen gemeinsamen Jahren und unendlichen, wunderbaren Momenten auseinander gehen, dazu bin ich nicht bereit.

Es passiert so furchtbar selten im Leben, dass man Jemanden trifft, der es schafft, sich auf ganz charmante Art und Weise in dein Herz zu stehlen. Wie furchtbar dumm wäre ich, diese besonderen Menschen, vor eine siebzig Zentimeter dicke Betonmauer laufen zu lassen, aus Angst, sie könnten eventuell einen Nagel dabei haben? 

Verlustangst ist furchtbar. Sie begleitet uns immer, wird nie ganz weg sein. Aber ich lasse nicht mehr zu, dass sie sich wie ein Schatten über jedes Band legt, dass ich knüpfe. Das sie jeden meiner Gedanken an diejenigen begleitet, die ich liebe, meine schönen Erinnerungen verpestet und meine Gefühle abstumpfen lässt. 


Ich will nicht abstumpfen!


Auch nicht, wenn das heißt, Schmerzen ertragen zu müssen. 
Jeder Atemzug den ich mit den Menschen verbringen kann, die in meinem Herzen wohnen, ist es wert, ihn in seiner vollen Pracht zu erleben. Nicht gefiltert, wie durch Watte... oder eine siebzig Zentimeter dicke Betonmauer.  

In diesem Sinne: Lebt euer Leben ganz. Nicht mit Gittern vor der Seele und Mauern vor euren Herzen. Ich habe das viel zu lange getan.